Vierdimensionales Raytracing in einer gekr¨ummten Raumzeit
Corvin Zahn
14.6.2002
Die Frage Man nehme eine Kamera, setze sie an eine beliebige Stelle des Weltalls, und bet¨atige den Ausl¨oser.
Was ist nach dem Entwickeln auf dem Film zu sehen?
Diese Frage darf, schr¨ankt man sie auf irdische Beobachtungsobjekte ein, als gekl¨art betrachtet werden. Heutzutage ist jede bessere Grafikworkstation in der Lage, die dreidimensionale Beschreibung einer beliebigen Szene in ein zweidimensionales Abbild umzusetzen, das von der Wirklichkeit kaum zu unterscheiden ist.

Unser Gehirn und die g¨angigen Computergrafikalgorithmen gehen beim Betrachten einer Szene allerdings davon aus, daß wir uns in einem euklidischen, flachen Raum befinden, daß Lichtstrahlen Geraden sind, daß sich alles, was wir sehen,

jetzt

gerade und gleichzeitig ereignet, daß die Zeit ¨uberall gleich schnell abl¨auft, daß wir die Farben des beobachteten Objekts so sehen

wie sie sind

. Diese Voraussetzungen sind bei astronomischen Beobachtungsobjekten nicht mehr erf¨ullt. In der N¨ahe

interessanter

kosmischer Objekte (z. B. Schwarzer L¨ocher) hat die Raumzeit eine v¨ollig andere Struktur, als wir sie aus dem Alltag gewohnt sind. In der Umgebung massiver Sterne l¨auft das Licht auf gekr¨ummten Bahnen, so daß photografische Abbildungen erheblich verzerrt werden. Lorentzkontraktion und Aberration ergeben scheinbare Verdrehungen eines sich schnell bewegenden K¨orpers. Die Photonen, die ein Bild erzeugen, also gleichzeitig bei der Kamera ankommen, k¨onnen je nach Entfernung des Emissionspunktes zu unterschiedlichen Zeiten gestartet sein und damit bei großen Objektgeschwindigkeiten v¨ollig verschiedene Phasen einer zeitlichen Entwicklung repr¨asentieren. Farben werden durch die Gravitationsrotverschiebung, sowie die durch Relativbewegung von Kamera und Objekt verursachte Dopplerverschiebung ver¨andert.

Die Arbeitsweise unseres Gehirns und die g¨angigen Computergrafikalgorithmen beruhen wie gesagt auf den oben genannten Voraussetzungen und f¨uhren daher zu falschen Ergebnissen. Zielsetzung

Das Ziel dieser Arbeit ist es, eine universelle Methode zu entwickeln (und als Programm zu implementieren), um von einer als Ansammlung von Weltr¨ohren gegebenen Szene, die sich in 1

einer beliebigen gegebenen Metrik befindet, einen Computer-Film zu berechnen, den eine auf einer ebenfalls gegebenen Weltlinie befindliche Filmkamera aufnehmen w¨urde. Zur Realisierbarkeit eines solchen Projekts ist zu sagen, daß die Computertechnologie erst seit kurzem dieM¨oglichkeiten bietet, den enormen Rechenaufwand (im Rahmen dieser Arbeit wurden ca. 1010 Bildpunkte berechnet) in finanzierbarem und erlebbarem Rahmen zu halten.

Motivation

In der Physik ist man immer bem¨uht, eine Aussage kovariant zu formulieren, d. h. sie so zu fassen, daß sie unabh¨angig von einer willk¨urlichen Koordinatenwahl wird. Dies f¨uhrt dazu, daß physikalische Gr¨oßen mit mathematischen Konzepten wie etwa dem des Tensorfeldes beschrieben werden. Wir haben aber leider weder Sinnesorgane noch Meßger¨ate, um Tensorfelder gr¨oßer als nullter Stufe direkt zu erfassen. Wollen wir eine anschauliche, d. h. eine unseren Sinnesorganen zug¨angliche, und nachmeßbare, d. h. unseren Meßger¨aten zug¨angliche Beschreibung eines physikalischen Vorgangs, so m¨ussen wir uns mit den Komponenten dieses Tensorfeldes, also den Projektionen auf eine frei w¨ahlbare Basis begn¨ugen. Daß diese — im Grunde willk¨urlichen—Zahlen f¨ur das Verst¨andnis der Physik keinen großen Wert haben, ist klar. Außerdem m¨ussen wir unsere Kleinheit im Vergleich zu den Beobachtungsobjekten beachten. Wir sind nicht in der Lage, ein Tensorfeld als Ganzes zu erfassen. Direkt zug¨anglich ist uns nur der Wert des Feldes, also ein Tensor, an dem Ort, an dem wir uns gerade befinden. F¨ur eine anschauliche und kovariante Beschreibung bleiben uns also nur noch Tensoren nullter Stufe, die Skalare. Genauer gesagt, skalare Funktionen der Eigenzeit des Beobachters. Die Sinneszellen unseres K¨orpers sind gebaut, um solche Skalare (Temperatur, Helligkeit, Schallpegel . . . ) zu registrieren. Da ein Skalar einfach eine Zahl ist und dementsprechend wenig Informationsgehalt hat, stellt sich die Frage, welches Sinnesorgan am besten geeignet ist, um eine große Informationsmenge, bestehend aus vielen Skalaren, aufzunehmen. Die Antwort ist klar. Unser Auge hat einige Millionen Sehzellen und ist demzufolge in der Lage,

mit einem Blick

einige Millionen Skalare zu erfassen. Ein mit dem Auge oder einer Kamera aufgenommenes Bild bietet also die Kovarianz eines Skalars beimillionenfacher Informationsdichte. Ber¨ucksichtigen wir noch unsere F¨ahigkeit, einen zeitlichen Ablauf zu erfassen, kommen wir zu folgender These: Ein von einer realen oder simulierten Filmkamera aufgenommener Film ist die beste M¨oglichkeit, einen physikalischen Vorgang anschaulich und kovariant darzustellen. Mit

anschaulich

ist gemeint, daß wir das Sinnesorgan mit der gr¨oßten Informationsdichte, den Sehsinn, mit einer von Kindesbeinen an ge¨ubten Methode der Bildverarbeitung, n¨amlich die Erfassung der Raumzeit-Struktur unserer Umwelt, nutzen. Mit

kovariant

ist gemeint, daß die Darstellung unabh¨angig von einem Koordinatensystem ist, da nur skalareGr¨oßen, Helligkeit und Farbe, abgebildet werden. 2 Damit w¨are eine wissenschaftstheoretische Rechtfertigung f¨ur eine aus reiner Neugier, Spieltrieb und Freude an bunten Bildern begonnene Arbeit gefunden. Realisierung Ein Standardverfahren um photorealistische Bilder zu berechnen, ist das sogenannte Ray- Tracing: Zu jedem Punkt der Filmfl¨ache suchen wir die Herkunft eines dort auftreffenden Lichtstrahls. Dazu wird jeder Lichtstrahl von der Kamera aus r¨uckw¨arts verfolgt, bis er ein darzustellendes Objekt trifft. Das ¨ublicherweise verwendete Ray-Tracing-Verfahren basiert auf einer geradlinigen unendlich schnellen Lichtausbreitung in einem dreidimensionalen euklidischen Raum. Diese Grundlagen sind in der N¨ahe kompakter kosmischer Objekte nicht mehr haltbar. In dieser Arbeit wird deshalb das Ray-Tracing-Verfahren in zwei wichtigen Punkten erweitert:  ¨ Ubergang vom dreidimensionalen Raum zur vierdimensionalen Raumzeit: Damit k¨onnen relativ zur Kamera bewegte Objekte unter Ber¨ucksichtigung von Lichtlaufzeiten, Aberration, Lorentzkontraktion, Dopplereffekt u. s.w. physikalisch korrekt und mathematisch einfach dargestellt werden.  ¨ Ubergang von einer flachen zu einer beliebig gekr¨ummten Raumzeit: Damit werden Effekte erfaßt, die durch gravitative Lichtablenkung oder durch die ungew¨ohnliche Kausalstruktur in der N¨ahe eines Schwarzen Loches entstehen. Mit diesen Verallgemeinerungen wird es m¨oglich, in auf der Erde unvorstellbaren, im Weltall aber allt¨aglichen Umgebungen zu physikalisch korrekten Bildern zu kommen. Anwendungen Eine industrielle Anwendung ist in unserem Jahrtausend nat¨urlich nicht mehr denkbar. Im Bereich Forschung und Lehre sehe ich allerdings die M¨oglichkeit, die mathematisch recht anspruchvollen Erkenntnisse der Allgemeinen Relativit¨atestheorie einem breiteren Publikum zug¨anglich zu machen. So wurden die berechneten Filme z. B. dem Deutschen Museum und dem ZDF angeboten. Als konkretes Anwendungsbeispiel liegt der Arbeit ein Videoband bei, auf dem einige der gerechneten Filmsequenzen zu sehen sind:  rotierender Neutronenstern mit Akkretionss¨aulen: Die Akkretionss¨aulen bestehen aus einem selbstleuchtenden Gas, das frei fallend auf die Magnetpole des Sterns st¨urzt. Durch die gravitative Lichtablenkung erscheinen die S¨aulen verzerrt. Die unterschiedlichen F¨arbungen beruhen auf einer Kombination von Gravitationsrotverschiebung und durch die hohe Geschwindigkeit verursachter Dopplerverschiebung.  Schnell rotierender Neutronenstern: Hier wurde eine physikalisch richtige numerisch berechnete Metrik verwendet, um die Photonenbahnen zu berechnen. Durch die schnelle Rotation (ca. 0.5ms Umlaufzeit eines Sterns mit 11 km Radius) werden die Lichtstrahlen

mitgef¨uhrt

. 3  Entstehung eines Einsteinringes. Steht ein massives Object, z. B. eine Galaxie oder ein Schwarzes Loch genau auf der Linie zwischen einem Stern und dem Beobachter, so kann durch seine Gravitationslinsenwirkung der dahinterliegende Stern als Ring, genannt

Einsteinring

, abgebildet werden. Um diesen Effekt deutlich zu machen, l¨auft in dieser Filmsequenz ein Schwarzes Loch vor einem Bild Einsteins vorbei.  Lehrfilm f¨ur das Deutsche Museum M¨unchen (Dauer: ca. 25 min.). Dieser, in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Museum erstellte Film ist dort auf der im Mai 92 neu er¨offneten Ausstellung

Astronomie

zu sehen. Das Programmsystem wurde als ’Spielwiese’ entwickelt. D.h. es kann durch seinen modularen Aufbau leicht in verschiedene Anwendungen integriert werden. Zur Zeit wird es am Institut f¨ur Theoretische Astrophysik T¨ubingen in mehreren Projekten eingesetzt:  Visualisierung und Berechnung von Spektren einer Akkretionsscheibe um ein ruhendes Schwarzes Loch (Schwarzschildmetrik), sowie um ein rotierendes Schwarzes Loch (Kerrmetrik).  Visualisierung des Gravitationskollapses einer wechselwirkungsfreien Staubwolke. 4